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Zilli Schmidt im RomnoKher im September 2020. Dank für einige der untenstehenden Bilder an die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Zilli Schmidt im RomnoKher im September 2020. Dank für einige der untenstehenden Bilder an die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Zilli Schmidt – Das Ende eines Jahrhunderts
Zilli Schmidt – Das Ende eines Jahrhunderts
Die Jahrhundertzeugin und Widerstandskämpferin ist am 21. Oktober 2022 verstorben
Die Jahrhundertzeugin und Widerstandskämpferin ist am 21. Oktober 2022 verstorben

Zil­li Schmidt war von so zar­ter, klei­ner, schein­bar zer­brech­li­cher Gestalt – aber sie war eine gro­ße his­to­ri­sche Per­sön­lich­keit. Sie war eine Jahr­hun­dert­zeu­gin. Und alle, die sie ken­nen­ler­nen oder zumin­dest erle­ben durf­ten, konn­ten ihr nur mit Lie­be begeg­nen. Weil Zil­li Schmidt allen Men­schen Lie­be entgegenbrachte. 

Bei öffent­li­chen Auf­trit­ten vor gro­ßem Publi­kum, bei Gesprä­chen mit jun­gen Men­schen und mit den Medi­en, zu Hau­se, wenn sie auf ihrem Ses­sel saß und die Besu­cher emp­fing, die sich auf den Sche­mel neben sie setz­ten, um ihr ganz nahe sein und ihre Hand hal­ten zu kön­nen, selbst wenn sie mit­ten im Gespräch plötz­lich wie­der in Ausch­witz war, wie sie so oft sag­te, und noch in ihren aller­letz­ten Tagen auf dem Kran­ken­bett: Zil­li Schmidt war zu unbe­grenz­ter Lie­be fähig. Sie war eine ele­gan­te Dame. Sie war eine Kämp­fe­rin für Recht und Erin­ne­rung. Und sie war eine gro­ße Lie­ben­de. Sie lieb­te die Menschen.

Das war ihre unbe­greif­li­che Bega­bung, sie hät­te es Gabe oder Geschenk Got­tes genannt. Sie hat so Schö­nes erlebt, eine glück­li­che Kind­heit in der Wei­ma­rer Repu­blik und noch in den ers­ten Jah­ren der NS-Dik­ta­tur, spä­ter vor allem, unge­ach­tet der nächt­li­chen Rück­kehr nach Ausch­witz, mit ihrem Mann Toni, der nicht nur mit sei­ner Musik und sei­nen Koch­küns­ten die Freu­de ihres Lebens nach 1945 war. 

Und Zil­li Schmidt hat das Schreck­lichs­te erlebt, Ausch­witz-Bir­ken­au, von März 1943 bis zum 2. August 1944, als sie ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ravens­brück ver­legt wur­de. An die­sem Tag wur­den ihre Toch­ter Gre­tel, ihr Vater und so vie­le ande­re aus ihrer gro­ßen Fami­lie ermor­det, in den Gas­kam­mern erstickt. 

Zil­li Schmidt konn­te von all­dem Zeug­nis able­gen – von den Schre­cken, die sie jede Nacht heim­such­ten. Von dem Bild ihres Vaters, das sie ver­folg­te. Von ihrer gelieb­ten vier­jäh­ri­gen Gre­tel, die ihr in Ausch­witz sag­te: „Mama, Mama, da hin­ten wer­den wie­der die Men­schen verbrannt.“ 

Aber sie leg­te auch Zeug­nis ab von ihrer wie­der­hol­ten Flucht aus den Lagern, von ihrem Wider­stand gegen die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Täter und ihre Hel­fer aus so vie­len Natio­nen, von ihrem Kampf um das Über­le­ben der Fami­lie, die sie im Lager mit Essen versorgte. 

Und sie erzähl­te so gern über ihre Kind­heit, über das Geran­gel mit ihrem Bru­der Hes­so um die Gei­ge, und wie stolz sie war, dass ihr Vater immer sag­te: „Lass mein Mäd­chen spie­len, die hat bes­se­re Ohren als du.“ Oder über das Wan­der­ki­no, mit dem sie die Dör­fer bereis­ten und beglück­ten. Wenn sie mit ihrem hoch­mo­der­nen Lanz Bull­dog und ihren Wohn­wa­gen kamen, war das die Sen­sa­ti­on weit und breit, alle im Ort waren aus dem Häus­chen, woll­ten „Dick und Doof“ oder ande­re Fil­me der 1920er Jah­re sehen. Wie herr­lich der Wagen war, in dem sie leb­ten, der Email­le-Ofen, Zil­li konn­te lan­ge und gern dar­über reden. Zugleich hat­te die Fami­lie eine Woh­nung in Eger. Dort blieb auch die gan­ze Zeit des Völ­ker­mords hin­durch der Wagen unbe­rührt ste­hen, aus dem Zil­li unmit­tel­bar nach dem Krieg das Kost­bars­te, was sie bis zu ihrem Lebens­en­de besaß, ber­gen konn­te – die Bil­der ihrer Fami­lie und ihrer Gretel. 

Sie berich­te­te gern von den Freund­schaf­ten ihrer Fami­lie mit ande­ren Deut­schen, was ihren Vater noch 1938 oder 1939 hof­fen ließ: „Der Hit­ler bringt doch nur die Ver­bre­cher weg.“ Da war die gemein­sa­me Geschich­te von Deut­schen, die Sin­ti waren, und Deut­schen, die kei­ne Sin­ti waren, schon zer­stört. Sie ende­te in der Ver­nich­tung der euro­päi­schen Sin­ti und Roma, der bis 1945 Hun­dert­tau­sen­de zum Opfer fielen. 

Zil­li Schmidt über­leb­te. Sie woll­te leben, anfangs auch ver­ges­sen, sie ver­such­te ohne Erfolg, ihre Num­mer aus Ausch­witz Z‑1959 zu ent­fer­nen. Aber immer mehr woll­te sie sich erin­nern, sie trat vor Gericht auf als Zeu­gin gegen NS-Ver­bre­cher. Sie ließ sich von jun­gen Men­schen befra­gen und rede­te ihnen ins Gewis­sen, Unrecht ent­ge­gen­zu­tre­ten und Mut zu zei­gen. Von ihrer Bio­gra­phie sind jun­ge Leu­te jeder Alters­stu­fe und mit jeg­li­chem Hin­ter­grund berührt. Zil­li war für die jun­ge Gene­ra­ti­on ein Star. Und sie hat uns allen ein wun­der­vol­les Erin­ne­rungs­buch hin­ter­las­sen, aus dem auf jeder Sei­te ihre unver­wech­sel­ba­re Stim­me zu uns spricht. 

Den Gro­ßen und ver­meint­lich Gro­ßen gegen­über, in der Gesell­schaft genau­so wie auch in der eige­nen Com­mu­ni­ty, nahm sie kein Blatt vor Mund. Sie sag­te immer und jedem, was sie dach­te. Sie war von abso­lu­ter Unbe­stech­lich­keit und Unab­hän­gig­keit. Aber sie konn­te auch begeis­tert loben, ihre Lie­be zei­gen, wenn sie einen guten Men­schen erkannte. 

Am 2. August 2021 sam­mel­te sie noch ein­mal für eine Rei­se nach Ber­lin ihre Kräf­te, um das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas in einer öffent­li­chen Inter­ven­ti­on zu ver­tei­di­gen. Als ihr am 21. Janu­ar 2022 das Bun­des­ver­dienst­kreuz ver­lie­hen wur­de, war sie glück­lich: Das Land, zu dem sie schon immer gehör­te und das sie den­noch hat­te ermor­den wol­len, ehr­te sie und ihren Kampf nun mit sei­ner höchs­ten Aus­zeich­nung. Das Jahr­hun­dert der Jahr­hun­dert­zeu­gin gip­fel­te, aller Sor­ge um wach­sen­de Unmensch­lich­keit zum Trotz, in einem ein­zig­ar­ti­gen Augen­blick des Glücks. 

Welch bedeu­ten­de his­to­ri­sche Per­sön­lich­keit mit Zil­li Schmidt von uns gegan­gen ist, lässt sich auch dar­an ermes­sen, dass der Bun­des­prä­si­dent sei­ne Rede zum zehn­jäh­ri­gen Bestehen des Denk­mals für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas am 24. Okto­ber 2022 mit einer Wür­di­gung Zil­li Schmidts einleitete. 

Am 21. Okto­ber 2022 ist das lan­ge Leben von Zil­li Schmidt im Alter von 98 Jah­ren zu Ende gegan­gen. Sie war eine Kämp­fe­rin vol­ler Mut und Mit­ge­fühl für ande­re, für das Gute, für Gerech­tig­keit. Sie war uns ein gro­ßes Vor­bild und eine wun­der­ba­re Freun­din. Sie war der fas­zi­nie­rends­te Mensch, dem wir je begeg­net sind. Bis zu ihrem letz­ten Tag hat­te sie die Ruhe und das Ver­trau­en, die aus tie­fem Glau­ben kom­men. Wir trau­ern mit ihrer Fami­lie, mit Rena­te Franz und allen ande­ren Angehörigen. 

Die Trau­er­fei­er fin­det am Don­ners­tag, dem 27. Okto­ber 2022, um 15 Uhr auf dem Mann­hei­mer Haupt­fried­hof statt. Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter aus Poli­tik und Zivil­ge­sell­schaft haben ihr Kom­men ange­kün­digt, um Zil­li Schmidt die letz­te Ehre zu erweisen. 

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© Stiftung Denkmal, Foto: Marko Priske© Stiftung Denkmal, Foto: Marko Priske
Zilli Schmidt und Claudia Roth, 16.07.2022Zilli Schmidt und Claudia Roth, 16.07.2022
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Ein Beitrag von Dr. Tim Müller,
erstellt am 26.10.2022

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