Begeisterung darüber, direkt mit Kritik, Anregungen, Erfahrungen Gehör zu finden – das war die einhellige Reaktion jüngerer, für ihre Minderheit engagierter Sinti und Roma, für die der VDSR-BW am 16. Mai 2022 die Möglichkeit zum Austausch mit dem Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganisms geschaffen hat. Das Bundeskabinett hatte im März den Juristen Dr. Mehmet Daimagüler, der als Vertreter der Nebenklage im Münchner NSU-Prozess bekannt wurde, aber wiederholt auch NS-Opfer gegen nationalsozialistische Verbrecher vor Gericht vertreten hat, mit dieser neuen Aufgabe betraut. Der Beauftragte der Bundesregierung ist im Familienministerium angesiedelt und soll die Maßnahmen der Regierung gegen Antiziganismus koordinieren, denen im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien ein hoher Stellenwert zukommt.
Der 16. Mai war ein passendes Datum dafür, das Engagement gegen Antiziganismus in den Vordergrund zu rücken. Er steht aufgrund des Aufstands in Auschwitz-Birkenau an diesem Tag 1944 als Symbol für den Widerstand von Sinti und Roma gegen den Nationalsozialismus, gegen Unterdrückung und Gewaltherrschaft. Zugleich steht der 16. Mai 1940, der den Beginn der Familiendeportationen aus dem Deutschen Reich markiert, für die endgültige Zerstörung einer gemeinsamen Geschichte und den Weg in den Völkermord an Hunderttausenden von Sinti und Roma in ganz Europa.
An diesem 16. Mai umriss der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus die Vorhaben, die er in den kommenden Jahren angehen will. Für den Anfang liegt die Priorität auf der Entwicklung der Strategie. Der Austausch mit jungen Menschen aus der Minderheit steht dabei für Mehmet Daimagüler ganz oben auf seiner Agenda. Dieser Austausch begann an diesem Abend im RomnoKher. Mit ihrer Hilfe möchte der Beauftragte der Bundesregierung wesentliche Empfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus umsetzen. Die fortgesetzte Diskriminierung nach 1945, die von den Täterinnen und Täter des NS-Völkermords legitimiert wurde, ist für Mehmet Daimagüler eine wesentliche Grundlage, um die Herausforderungen der Gegenwart zu begreifen. Zu seinen ambitionierteren Plänen gehört die Einrichtung einer Wahrheitskommission, in der jede Kommune, jede Institution, jedes Unternehmen in der Bundesrepublik die eigene Verstrickung in den Völkermord und den eigenen Profit infolge von Ausbeutung, Vertreibung und verweigerter Anerkennung eingestehen sollte.
Am Nachmittag war bereits Raum für eine nicht-öffentliche Begegnung und den vertrauten Austausch jüngerer Sinti und Roma mit dem Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganismus gegeben. Um fand 18:30 Uhr eine öffentliche Diskussion statt, die von Daniel Strauß moderiert und eingeleitet wurde. Mehmet Daimagüler skizzierte dem Publikum, zu dem auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus der kommunalen Politik, den Landesministerien, den sozialen und kirchlichen Einrichtungen sowie der Wissenschaft gehörten, seine Ziele. Stellvertretend für viele engagierte Sinti und Roma aus ganz Baden-Württemberg diskutierten Atide, Benjamin Dislo Harter, Verena Lehmann, Marta Orsos und Armani Spindler mit Mehmet Daimagüler ihre Erwartungen und gaben dem neuen Beauftragten der Bundesregierung auch ihre persönlichen Arbeitsaufträge mit auf den Weg.
Die Diskussionsveranstaltung wurde live gestreamt und ist auf unserem Youtube-Kanal RomnoKher verfügbar.
Dem VDSR-BW ebenso wie anderen Einrichtungen der nationalen Minderheit der Sinti und Roma dient Daimagüler schon seit Jahren als Rechtsberater, für den Landesverband war er etwa im Ulmer Prozess wegen eines antiziganistischen Angriffs im Einsatz, der im September 2020 mit der Verurteilung der Täter endete. Daniel Strauß hat Mehmet Daimagüler bereits in seiner Nachrichtensendung RomnoKher News vom 10. März 2022 vorgestellt. Um 17:30 Uhr interviewte zudem Daniel Strauß Dr. Mehmet Daimagüler und Rechtsanwalt Engin Şanli zu polizeilichen Übergriffen auf Sinti und Roma in Singen und Freiburg.
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