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Berlin, 2. August 2016, v.l.n.r.: Hamze Bytyci, Romeo Franz, Dani Karavan und Uwe Neumärker. Foto: Marko Priske, Stiftung Denkmal
Berlin, 2. August 2016, v.l.n.r.: Hamze Bytyci, Romeo Franz, Dani Karavan und Uwe Neumärker. Foto: Marko Priske, Stiftung Denkmal
Erinnerung an Dani Karavan
Erinnerung an Dani Karavan
Die Leichtigkeit des Gedenkens an das Unerträgliche – Eine Erinnerung an den großen Künstler und beeindruckenden Menschen Dani Karavan, der am 29. Mai 2021 verstorben ist
Die Leichtigkeit des Gedenkens an das Unerträgliche – Eine Erinnerung an den großen Künstler und beeindruckenden Menschen Dani Karavan, der am 29. Mai 2021 verstorben ist

Vom ers­ten Augen­blick an war da eine Ver­bun­den­heit, eine Über­ein­stim­mung, fun­da­men­tal und selbst­ver­ständ­lich. Mit Dani Kara­van zusam­men­zu­ar­bei­ten, das hieß wirk­lich gemein­sam an einer gro­ßen Sache zu wir­ken, Teil eines Pro­zes­ses mit ihm zu wer­den. Ihm muss­te nichts erklärt wer­den, wir durch­leb­ten auf die­sem Weg gemein­sam unse­re Geschich­te. Auch für ihn war es so. Kurz nach der Ein­wei­hung des Denk­mals in Ber­lin erklär­te er ein­mal: „Für mich sind Sin­ti und Roma mei­ne Brü­der und Schwes­tern“. Er emp­fand so, „als sei mei­ne Fami­lie gemein­sam mit den Sin­ti und Roma in den­sel­ben Gas­kam­mern ermor­det wor­den“. Dani Kara­van wur­de 1930 in Isra­el gebo­ren, ein gro­ßer Teil sei­ner Fami­lie wur­de im Holo­caust ermordet.

Als wir ihn in den 1990er Jah­ren zum ers­ten Mal in sei­nem Pari­ser Ate­lier besuch­ten, begann ein Gespräch, in des­sen Ver­lauf das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas Gestalt annahm. Sein sich jeder Monu­men­ta­li­tät ver­wei­gern­der Ent­wurf eines Denk­mals für die ermor­de­ten Juden Euro­pas – er selbst hat­te zuvor zu den stärks­ten Befür­wor­tern eines gemein­sa­men Denk­mals für alle Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus gehört – hat­te uns tief beein­druckt. Dem Ver­such, die absur­de Mons­tro­si­tät der Ver­bre­chen abzu­bil­den, setz­te er Leich­tig­keit und Stil­le entgegen.

Das war es, was unser Denk­mal aus­zeich­nen soll­te. Dani Kara­van war der ein­zi­ge Künst­ler, der es schaf­fen konn­te. Sei­ne Wer­ke erin­ner­ten an die Ver­ges­se­nen, ohne Erin­ne­rung zur Pflicht oder zum Zwang zu machen. Die Wür­de des Erin­nerns als Inne­hal­ten und Ein­kehr, Geden­ken als Akt des Den­kens, des Mit-sei­nen-Gedan­ken-Allein­seins kamen bei ihm zum Aus­druck. Und was er in Angriff nahm, das betrieb er mit kom­pro­miss­lo­ser Lei­den­schaft. So groß­flä­chig eini­ge sei­ner Wer­ke waren, staats­tra­gen­de Kunst war ihm fremd. Sein „Passagen“-Denkmal in Port­bou, dem vor den Nazis geflo­he­nen Wal­ter Ben­ja­min gewid­met, der hier aus dem Leben schied, weil der Aus­weg nach Spa­ni­en ver­sperrt war, ent­hält die Wor­te: „Schwe­rer ist es, das Gedächt­nis der Namen­lo­sen zu ehren als das der Berühmten.“

Das Gedächt­nis der namen­lo­sen, nicht berühm­ten, ermor­de­ten Sin­ti und Roma, an die jede Erin­ne­rung in der deut­schen Gesell­schaft von der deut­schen Gesell­schaft aus­ge­löscht wor­den war, ehr­te Dani Kara­van mehr als jeder ande­re. Im Namen des Zen­tral­rats nahm eine Grup­pe von uns Kon­takt mit ihm auf. Die Besu­che in Paris gehö­ren zu mei­nen ein­drück­lichs­ten Begeg­nun­gen. Mit wel­cher Leich­tig­keit er die schwers­ten The­men anging, wie eige­nes Leben und Lebens­werk, Kunst und Fami­lie bei ihm untrenn­bar zusam­men­ge­hör­ten, das hat mich tief geprägt. Wir erzähl­ten ein­fach von unse­rer Geschich­te, unse­ren Toten und Über­le­ben­den. Und er hör­te ein­fach zu. So wur­de das Denk­mal gemein­sam ent­wi­ckelt. In die­sem Rah­men prä­sen­tier­te er uns das ers­te Modell. Zeit­los, ohne reli­giö­se Sym­bo­lik, von tie­fem Ernst und gro­ßer Leich­tig­keit zugleich, die Gedenk­me­ta­phern, der See der Trau­er, die Wild­blu­me, mit der die deut­sche Gesell­schaft jeden Tag den Opfern ihren Respekt bekun­det, die an Drei­ecke erin­nern­den Gra­nit­stei­ne, Gedenk- und Trau­er­stei­ne mit den Namen der Lager – im Gespräch ent­stand eines der größ­ten Kunst­wer­ke unse­res Landes.

Es war kein rei­ner Auf­trag für ihn, kei­ne blo­ße Arbeit. Es war ein Teil sei­nes Lebens. Sei­ne Vehe­menz bei der Aus­wahl der Mate­ria­li­en, bei der Gestal­tung war ehr­furcht­ein­flö­ßend. Es gab für ihn kei­ne Kom­pro­mis­se bei der Ent­wick­lung. Die Land­schaft war und ist Teil des Denk­mals, wie es das gan­ze Werk von Dani Kara­van aus­zeich­net. Die spe­zi­fi­sche Lage gegen­über dem Reichs­tags­ge­bäu­de, die Bäu­me, das Was­ser – all das wur­de als Ele­ment des Denk­mals in die Pla­nung ein­be­zo­gen, es gibt kei­nen Bereich außer­halb des Denk­mals, alles ist das Denkmal.

Die­se Kom­pro­miss­lo­sig­keit bis ins letz­te Detail führ­te wäh­rend der Errich­tung zu Kon­flik­ten. Es schmerzt immer noch, was er nach der Eröff­nung des Denk­mals berich­ten muss­te: Die Ber­li­ner Behör­den „gin­gen so mit mei­nem Pro­jekt um, dass ich schon fast dach­te, da sei Ras­sis­mus im Spiel. Sie inter­es­sier­te es nicht, was gemacht wur­de, wel­che Mate­ria­li­en zum Ein­satz kom­men soll­ten, wel­che Fir­ma es aus­führt. Sie taten so, als wäre ich ein Nichts, in einer unfreund­li­chen, aggres­si­ven Art“. Er füg­te hin­zu, in sei­nem gan­zen Künst­ler­le­ben habe es nie­mals sol­che Pro­ble­me gege­ben wie in Ber­lin: „Ihnen sind Sin­ti und Roma egal.“ Erst als die Bun­des­re­gie­rung und ihr Beauf­trag­ter für Kul­tur und Medi­en, Bernd Neu­mann, auf den Plan tra­ten und den Senat von Ber­lin ablös­ten, wur­de alles bes­ser. Dafür hat­ten deut­sche Künst­ler wie Wim Wen­ders gewor­ben, um den dro­hen­den inter­na­tio­na­len Skan­dal abzu­wen­den. Die Bun­des­re­gie­rung „hat­te Respekt vor dem Pro­jekt und vor den Sin­ti und Roma. … Andern­falls wäre das Denk­mal nie voll­endet worden.“

Dass Dani Kara­van auch nach der Ein­wei­hung des Denk­mals erneut des­sen Schutz­pa­tron wer­den muss­te, hät­te er sich damals nicht vor­stel­len kön­nen. Als er im ver­gan­ge­nen Som­mer nicht von den Ver­ant­wort­li­chen, son­dern von Romeo Franz, dem Mit­schöp­fer des Denk­mals und Kom­po­nist des Klang­bil­des, erfuhr, dass der Senat von Ber­lin und die Deut­sche Bahn Bau­plä­ne hat­ten, die das Denk­mal berühr­ten, fand er kla­re Wor­te: „Das Denk­mal für die ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas darf in sei­ner gesam­ten Aus­deh­nung nicht berührt wer­den! Wenn es jemand wagt, wer­de ich per­sön­lich kom­men und es mit mei­nem Kör­per schüt­zen, den Angrei­fer ver­kla­gen und einen inter­na­tio­na­len Skan­dal dar­aus machen.“

Selbst den israe­li­schen Staats­prä­si­den­ten Reu­ven Riv­lin woll­te er dafür mobi­li­sie­ren. Zwei Schrei­ben an die Ber­li­ner Bau­se­na­to­rin, nach­richt­lich an alle Ver­ant­wort­li­chen der Repu­blik ver­sandt, lie­ßen im Juli 2020 und im Febru­ar 2021 kei­ne Fra­gen offen. „Das Denk­mal darf kei­ne Ver­än­de­run­gen erfah­ren, die sei­ne Atmo­sphä­re und sei­ne Bedeu­tung gefähr­den könn­ten. Eine ande­re Lösung muss gefun­den wer­den.“ So ende­te sein letz­ter Brief an die Ber­li­ner Behör­den, sein Ver­mächt­nis, das nun von sei­ner Toch­ter Noa und den vie­len Sin­ti und Roma ver­tei­digt wird, für die das Denk­mal unan­tast­bar und ein sym­bo­li­sches Grab­mal für Hun­dert­tau­sen­de ermor­de­ter Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ger ist, an ihrer Spit­ze die Über­le­ben­den Zil­li Schmidt und Zoni Weisz. Sin­ti und Roma aus ganz Euro­pa mel­den sich mitt­ler­wei­le zu Wort. Sie stel­len der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land die Fra­ge, was ihr das Geden­ken an die Opfer des Natio­nal­so­zia­lis­mus, ihre gan­ze hoch­ge­lob­te „Erin­ne­rungs­kul­tur“ wirk­lich wert ist. Die­se Fra­ge ent­schei­det sich heu­te am Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Europas.

Die­se gegen­wär­ti­ge, des Künst­lers und Men­schen Dani Kara­van nicht wür­di­ge Debat­te, in der Poli­ti­ker und Büro­kra­ten wie­der ihre unrühm­li­che, über­wun­den geglaub­te Rol­le ein­neh­men, die Viel­falt der Stim­men von Sin­ti und Roma gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len oder unter­drü­cken zu wol­len, und sich zugleich mit Aus­sa­gen zitie­ren las­sen, die von erschre­cken­der, unse­re Geschich­te und unse­re Kul­tur miss­ach­ten­der Unkennt­nis zeu­gen – die­se unse­li­ge Debat­te darf aber nicht ver­ges­sen las­sen, dass wir auch einen gro­ßen Grund zur Dank­bar­keit haben.

Von Dani Kara­van selbst wur­de erst jüngst das Denk­mal zum Abschluss gebracht, so, wie wir es damals in Paris ent­wi­ckelt hat­ten. Was von Anfang an die­ses Denk­mal auch prä­gen soll­te, wird nach sei­nen eige­nen Plä­nen in Kür­ze ver­wirk­licht sein: Den Ermor­de­ten und den Über­le­ben­den wird in einer Ergän­zungs­aus­stel­lung Stim­me und Gesicht gege­ben. Damit ist das Denk­mal end­lich voll­endet, in dem Augen­blick, in dem ihm Beschä­di­gung droht durch die, deren Vor­gän­ger für den Völ­ker­mord Ver­ant­wor­tung tru­gen. Dani Kara­van hat Land­schaf­ten geschaf­fen, aber der Mensch, die Ver­tei­di­gung der Men­schen­wür­de, stand im Mit­tel­punkt sei­nes Lebens und Wer­kes. Er war nicht nur ein gro­ßer Künst­ler. Ein gro­ßer Mensch ist von uns gegangen.

Ein Beitrag von Daniel Strauß,
erstellt am 03.07.2021

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