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Kind in Handschellen
Kind in Handschellen
Polizeiübergriff in Singen
Polizeiübergriff in Singen

Am 6. Febru­ar 2021 wur­de um ca. 16:30 Uhr ein elf­jäh­ri­ges Kind nach einer anlass­lo­sen Per­so­nen­kon­trol­le in Hand­schel­len abge­führt und auf das Poli­zei­re­vier in Sin­gen gebracht. Der VDSR-BW ver­tritt die Inter­es­sen der betrof­fe­nen Fami­lie. Sie hat ges­tern Abend Straf­an­zei­ge gestellt und wird anwalt­lich von Dr. Meh­met Dai­ma­gü­ler ver­tre­ten, der als Neben­kla­ge­ver­tre­ter in zahl­rei­chen Pro­zes­sen, wie z.B. im „NSU-Ver­fah­ren“, Opfer poli­tisch moti­vier­ter Gewalt ver­tre­ten hat.

Zum Hin­ter­grund

Meh­re­re Kin­der spiel­ten vor dem Wohn­ort ihrer Groß­mutter. Zwei Poli­zei­be­am­te führ­ten bei ihnen eine Per­so­nen­kon­trol­le durch. Das elf­jäh­ri­ge Kind, das spä­ter in Hand­schel­len auf das Poli­zei­re­vier gebracht wur­de, gab den Beam­ten der Sin­ge­ner Poli­zei sein Alter an. Die Beam­ten zogen dar­auf hin ab. Kur­ze Zeit spä­ter erschie­nen zwei wei­te­re Poli­zei­be­am­te und führ­ten erneut eine Per­so­nen­kon­trol­le durch. Einer der zwei Beam­ten sprach das Kind in gebro­che­nem Roma­nes an. Bereits aus die­sem Umstand wird deut­lich, dass die Beam­ten das Kind der Min­der­heit der Sin­ti und Roma zuord­ne­ten. Hier­bei wur­de das Kind sinn­ge­mäß mit den Wor­ten „Einer von den Zigeu­nern, die ken­nen wir ja“, „Du kommst eine Nacht hin­ter Git­tern“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht. Die Poli­zei­be­am­ten durch­such­ten das elf­jäh­ri­ge Kind und fan­den ein klei­nes Klapp­mes­ser. Das Kind erklär­te, dass es die­ses bei sich trü­ge für Arbei­ten im Garten.

Die Mut­ter und der Vater der ande­ren Kin­der hat­ten bereits ver­sucht die Kin­der tele­fo­nisch zu errei­chen, um sie zum Essen nach Hau­se zu holen. Die Beam­ten ver­bo­ten den Kin­dern, an ihre Han­dys zu gehen. Sie leg­ten nun dem Kind, das sie durch­sucht hat­ten, Hand­schel­len hin­ter dem Rücken an. Das Kind fleh­te die Beam­ten an, sei­ne Mut­ter benach­rich­ti­gen zu dür­fen, die sich nicht weit ent­fernt in der Woh­nung auf­hielt. Es wies die Beam­ten auch dar­auf hin, dass es wegen eines kurz zuvor erlit­te­nen Unfalls drei ange­bro­che­ne Rip­pen hät­te und an Asth­ma lei­de. Das Kind wur­de den­noch mit kör­per­li­cher Gewalt auf den Rück­sitz des Ein­satz­wa­gens ver­bracht. Im Auto wie­der­hol­te es, dass es an Asth­ma lei­de und die Fes­se­lung ihm Atem­pro­ble­me berei­te. Als Reak­ti­on sag­te die Poli­zei­be­am­tin: „Halt die Schnauze“.

Die ande­ren Kin­der infor­mier­ten die Mut­ter des Kin­des. Die­se rief sofort bei der Poli­zei­wa­che an und frag­te nach ihrem Kind. Die Ant­wort lau­te­te sinn­ge­mäß: „Das weiß ich doch nicht. Jeden­falls nicht hier“. Sie wies auf die Vor­er­kran­kung des Kin­des hin und bat um die Suche nach ihrem Kind per Funk. Sie rief nach kur­zer Zeit erneut an, um sich nach der Suche nach ihrem Kind zu erkun­di­gen. Die Poli­zei fand das Kind nicht und die Beam­ten der Wache nah­men den drit­ten Anruf der Mut­ter nicht mehr entgegen.

In der Zwi­schen­zeit war das Kind in Hand­fes­seln auf der Poli­zei­wa­che ange­kom­men. Erst als ein wei­te­rer Beam­ter hin­zu kam, wur­den dem Kind die Hand­schel­len abge­nom­men. Das Kind wur­de 30 Minu­ten in einem Ver­hör­zim­mer fest­ge­hal­ten und schließ­lich frei­ge­las­sen. Es lief voll­kom­men ver­ängs­tigt allei­ne nach Hau­se und über­quer­te dabei eine viel befah­re­ne Schnell­stra­ße, auf der das Kind im Jahr zuvor von einem Auto ange­fah­ren wor­den war.

Weder der Mut­ter noch dem Kind wur­de mit­ge­teilt, war­um in ent­spre­chen­der Wei­se ver­fah­ren wurde.

Dani­el Strauß, Vor­stands­vor­sit­zen­der des VDSR-BW:

„Wir for­dern eine voll­stän­di­ge Auf­klä­rung die­ses Über­griffs und wen­den uns dar­um an Herrn Innen­mi­nis­ter Tho­mas Strobl im Ver­trau­en dar­auf, dass die Recht­staat­lich­keit wie­der­her­ge­stellt wird. Wir wen­den uns auch an die Koor­di­na­to­rin des Rates für die Ange­le­gen­hei­ten der deut­schen Sin­ti und Roma in Baden-Würt­tem­berg, Frau Staats­mi­nis­te­rin The­re­sa Schop­per, und bit­ten sie um Unter­stüt­zung bei der Aufklärung.

Die­ser Fall fügt sich in eine Rei­he von aktu­el­len Vor­komm­nis­sen von Poli­zei­ge­walt gegen unse­re Min­der­heit ein, wie 2016 in Hei­del­berg und 2020 in Frei­burg und auch in Singen“.

Die betrof­fe­ne Familie:

Das war ein Poli­zei­über­griff auf ein Kind, auf einen 11-jäh­ri­gen Sin­to! Wir sind als Fami­lie psy­chisch mit­ge­nom­men. Mein Sohn hat­te von den Hand­schel­len Strie­men an den Hän­den. Wir wer­den auf­ste­hen und unse­re Stim­me erheben.“

For­schung und Men­schen­rechts­gre­mi­en wei­sen schon seit län­ge­rem auf anti­zi­ga­nis­ti­sche Vor­komm­nis­se in der Poli­zei­ar­beit hin. Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on gegen Ras­sis­mus und Into­le­ranz des Euro­pa­ra­tes (ECRI) emp­fiehlt dar­um, eine Stu­die zum The­ma Racial Pro­fil­ing in Auf­trag zu geben, um insti­tu­tio­na­li­sier­ten Ras­sis­mus zu been­den. Auch das Deut­sche Insti­tut für Men­schen­rech­te ver­weist auf ein unzu­rei­chen­des Ver­ständ­nis über das Ver­bot von ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung. In einer Stu­die über anti­zi­ga­nis­ti­sche Ermitt­lungs­an­sät­ze in der Poli­zei weist der Wis­sen­schaft­ler Mar­kus End dar­auf hin, dass die Schwel­le zum Gewalt­ein­satz gegen­über Sin­ti und Roma mög­li­cher­wei­se beson­ders nied­rig ist. Wir ver­wei­sen an die­ser Stel­le auch auf den Zwei­ten Zwi­schen­be­richt zum For­schungs­pro­jekt „Kör­per­ver­let­zung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviA­Pol): Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen im Kon­text poli­zei­li­cher Gewalt­aus­übung von Lai­la Abdul-Rah­man, Han­nah Espín Grau, Lui­se Klaus und Tobi­as Singelnstein.

Pres­se­mit­tei­lung als PDF: PM_Polizeiübergriff: Kind in Handschellen

Ansprech­part­ne­rin für Pres­se- und Öffentlichkeitsarbeit:

Cha­na Dischereit

Tele­fon 0621 911091 00

Email: cd@sinti-roma.com

Beitrag erstellt am 10.02.2021

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