Vom ersten Augenblick an war da eine Verbundenheit, eine Übereinstimmung, fundamental und selbstverständlich. Mit Dani Karavan zusammenzuarbeiten, das hieß wirklich gemeinsam an einer großen Sache zu wirken, Teil eines Prozesses mit ihm zu werden. Ihm musste nichts erklärt werden, wir durchlebten auf diesem Weg gemeinsam unsere Geschichte. Auch für ihn war es so. Kurz nach der Einweihung des Denkmals in Berlin erklärte er einmal: „Für mich sind Sinti und Roma meine Brüder und Schwestern“. Er empfand so, „als sei meine Familie gemeinsam mit den Sinti und Roma in denselben Gaskammern ermordet worden“. Dani Karavan wurde 1930 in Israel geboren, ein großer Teil seiner Familie wurde im Holocaust ermordet.
Als wir ihn in den 1990er Jahren zum ersten Mal in seinem Pariser Atelier besuchten, begann ein Gespräch, in dessen Verlauf das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas Gestalt annahm. Sein sich jeder Monumentalität verweigernder Entwurf eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas – er selbst hatte zuvor zu den stärksten Befürwortern eines gemeinsamen Denkmals für alle Opfer des Nationalsozialismus gehört – hatte uns tief beeindruckt. Dem Versuch, die absurde Monstrosität der Verbrechen abzubilden, setzte er Leichtigkeit und Stille entgegen.
Das war es, was unser Denkmal auszeichnen sollte. Dani Karavan war der einzige Künstler, der es schaffen konnte. Seine Werke erinnerten an die Vergessenen, ohne Erinnerung zur Pflicht oder zum Zwang zu machen. Die Würde des Erinnerns als Innehalten und Einkehr, Gedenken als Akt des Denkens, des Mit-seinen-Gedanken-Alleinseins kamen bei ihm zum Ausdruck. Und was er in Angriff nahm, das betrieb er mit kompromissloser Leidenschaft. So großflächig einige seiner Werke waren, staatstragende Kunst war ihm fremd. Sein „Passagen“-Denkmal in Portbou, dem vor den Nazis geflohenen Walter Benjamin gewidmet, der hier aus dem Leben schied, weil der Ausweg nach Spanien versperrt war, enthält die Worte: „Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten.“
Das Gedächtnis der namenlosen, nicht berühmten, ermordeten Sinti und Roma, an die jede Erinnerung in der deutschen Gesellschaft von der deutschen Gesellschaft ausgelöscht worden war, ehrte Dani Karavan mehr als jeder andere. Im Namen des Zentralrats nahm eine Gruppe von uns Kontakt mit ihm auf. Die Besuche in Paris gehören zu meinen eindrücklichsten Begegnungen. Mit welcher Leichtigkeit er die schwersten Themen anging, wie eigenes Leben und Lebenswerk, Kunst und Familie bei ihm untrennbar zusammengehörten, das hat mich tief geprägt. Wir erzählten einfach von unserer Geschichte, unseren Toten und Überlebenden. Und er hörte einfach zu. So wurde das Denkmal gemeinsam entwickelt. In diesem Rahmen präsentierte er uns das erste Modell. Zeitlos, ohne religiöse Symbolik, von tiefem Ernst und großer Leichtigkeit zugleich, die Gedenkmetaphern, der See der Trauer, die Wildblume, mit der die deutsche Gesellschaft jeden Tag den Opfern ihren Respekt bekundet, die an Dreiecke erinnernden Granitsteine, Gedenk- und Trauersteine mit den Namen der Lager – im Gespräch entstand eines der größten Kunstwerke unseres Landes.
Es war kein reiner Auftrag für ihn, keine bloße Arbeit. Es war ein Teil seines Lebens. Seine Vehemenz bei der Auswahl der Materialien, bei der Gestaltung war ehrfurchteinflößend. Es gab für ihn keine Kompromisse bei der Entwicklung. Die Landschaft war und ist Teil des Denkmals, wie es das ganze Werk von Dani Karavan auszeichnet. Die spezifische Lage gegenüber dem Reichstagsgebäude, die Bäume, das Wasser – all das wurde als Element des Denkmals in die Planung einbezogen, es gibt keinen Bereich außerhalb des Denkmals, alles ist das Denkmal.
Diese Kompromisslosigkeit bis ins letzte Detail führte während der Errichtung zu Konflikten. Es schmerzt immer noch, was er nach der Eröffnung des Denkmals berichten musste: Die Berliner Behörden „gingen so mit meinem Projekt um, dass ich schon fast dachte, da sei Rassismus im Spiel. Sie interessierte es nicht, was gemacht wurde, welche Materialien zum Einsatz kommen sollten, welche Firma es ausführt. Sie taten so, als wäre ich ein Nichts, in einer unfreundlichen, aggressiven Art“. Er fügte hinzu, in seinem ganzen Künstlerleben habe es niemals solche Probleme gegeben wie in Berlin: „Ihnen sind Sinti und Roma egal.“ Erst als die Bundesregierung und ihr Beauftragter für Kultur und Medien, Bernd Neumann, auf den Plan traten und den Senat von Berlin ablösten, wurde alles besser. Dafür hatten deutsche Künstler wie Wim Wenders geworben, um den drohenden internationalen Skandal abzuwenden. Die Bundesregierung „hatte Respekt vor dem Projekt und vor den Sinti und Roma. … Andernfalls wäre das Denkmal nie vollendet worden.“
Dass Dani Karavan auch nach der Einweihung des Denkmals erneut dessen Schutzpatron werden musste, hätte er sich damals nicht vorstellen können. Als er im vergangenen Sommer nicht von den Verantwortlichen, sondern von Romeo Franz, dem Mitschöpfer des Denkmals und Komponist des Klangbildes, erfuhr, dass der Senat von Berlin und die Deutsche Bahn Baupläne hatten, die das Denkmal berührten, fand er klare Worte: „Das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas darf in seiner gesamten Ausdehnung nicht berührt werden! Wenn es jemand wagt, werde ich persönlich kommen und es mit meinem Körper schützen, den Angreifer verklagen und einen internationalen Skandal daraus machen.“
Selbst den israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin wollte er dafür mobilisieren. Zwei Schreiben an die Berliner Bausenatorin, nachrichtlich an alle Verantwortlichen der Republik versandt, ließen im Juli 2020 und im Februar 2021 keine Fragen offen. „Das Denkmal darf keine Veränderungen erfahren, die seine Atmosphäre und seine Bedeutung gefährden könnten. Eine andere Lösung muss gefunden werden.“ So endete sein letzter Brief an die Berliner Behörden, sein Vermächtnis, das nun von seiner Tochter Noa und den vielen Sinti und Roma verteidigt wird, für die das Denkmal unantastbar und ein symbolisches Grabmal für Hunderttausende ermordeter Familienangehöriger ist, an ihrer Spitze die Überlebenden Zilli Schmidt und Zoni Weisz. Sinti und Roma aus ganz Europa melden sich mittlerweile zu Wort. Sie stellen der Bundesrepublik Deutschland die Frage, was ihr das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, ihre ganze hochgelobte „Erinnerungskultur“ wirklich wert ist. Diese Frage entscheidet sich heute am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.
Diese gegenwärtige, des Künstlers und Menschen Dani Karavan nicht würdige Debatte, in der Politiker und Bürokraten wieder ihre unrühmliche, überwunden geglaubte Rolle einnehmen, die Vielfalt der Stimmen von Sinti und Roma gegeneinander auszuspielen oder unterdrücken zu wollen, und sich zugleich mit Aussagen zitieren lassen, die von erschreckender, unsere Geschichte und unsere Kultur missachtender Unkenntnis zeugen – diese unselige Debatte darf aber nicht vergessen lassen, dass wir auch einen großen Grund zur Dankbarkeit haben.
Von Dani Karavan selbst wurde erst jüngst das Denkmal zum Abschluss gebracht, so, wie wir es damals in Paris entwickelt hatten. Was von Anfang an dieses Denkmal auch prägen sollte, wird nach seinen eigenen Plänen in Kürze verwirklicht sein: Den Ermordeten und den Überlebenden wird in einer Ergänzungsausstellung Stimme und Gesicht gegeben. Damit ist das Denkmal endlich vollendet, in dem Augenblick, in dem ihm Beschädigung droht durch die, deren Vorgänger für den Völkermord Verantwortung trugen. Dani Karavan hat Landschaften geschaffen, aber der Mensch, die Verteidigung der Menschenwürde, stand im Mittelpunkt seines Lebens und Werkes. Er war nicht nur ein großer Künstler. Ein großer Mensch ist von uns gegangen.