Sie malt mit Worten. Sie verdichtet die Fülle des Lebens auf wenigen Seiten. Sie bringt mit einer Gedichtzeile, einem Bild die Vergessenen wieder zum Leben. Sie erzählt in epischer Länge von den Grausamkeiten und den glücklichen Momenten, von Mördern und Helfern, von der Familie und ihren Feinden, von der Freude und der Trauer. Sie schreibt so existenziell und autobiographisch, dass man ihre innersten Gedanken und Gefühle zu spüren glaubt. Ihre Erzählkunst gibt zugleich Generationen von Sinti eine Stimme, die Österreich lieben und seit Jahrhunderten dort leben. Ihre Sprache ist so intim und zart und doch von gewaltiger Energie. Und sie liest so wunderbar, geprägt vom Tonfall ihrer Linzer Heimat, aus ihrem Werk, mit einer Intensität und Ruhe, die keine Zuhörerin und keinen Zuhörer nicht ergriffen sein lassen. Nicht für eine Sekunde lässt die Aufmerksamkeit des Publikums nach.
Die Covid-19-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Lesung von Gitta Martl am 4. November in unser „virtuelles Kulturhaus“ RomnoKher verlegt werden musste. Das doppelte Format – Livestream auf unserem Youtube-Kanal, Videokonferenz für angemeldete Teilnehmer mit der Möglichkeit, am Ende ins Gespräch mit der Autorin zu kommen – hat sich dabei bewährt. Es war für alle Anwesenden ein Augenblick des Glücks, der sich den wenig glücklichen Zeiten entgegenstellte.
Hier der literarische Abend mit Gitta Martl zum Nachschauen: https://youtu.be/sd6VE93Dx5k
Gitta Martl, die am 4. November 2020 aus ihrem Buch „Bleib stark“ las, ist Trägerin des Kultur- und Ehrenpreises der Sinti und Roma, den ihr der VDSR-BW 2019 verliehen hat. Diese Lesung fand in Kooperation mit der Mannheimer Abendakademie statt und war Teil unserer Reihe „Unsere Menschen erzählen“. Ihr bürgerrechtliches Engagement und ihr literarisches Werk trugen Martl viele bedeutende Auszeichnungen ein, darunter 2007 den Marianne-von-Willemer-Preis, 2011 den Elfriede-Grünberg-Preis und den beim österreichischen Parlament angesiedelten Demokratiepreis der Margaretha Lupac-Stiftung, 2013 das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich sowie 2019 den Roma-Literaturpreis des österreichischen PEN.