Pressemitteilung. 13.11.2018
Nachdem in Deutschland vor fünf Jahren erstmalig ein Staatsvertrag mit der Minderheit der Sinti und Roma abgeschlossen wurde zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, wird dieser morgen erneuert. Der Vertrag stellt wieder ein historisches Moment dar. Neben der Erhöhung der Förderung auf 700.000 Euro ab 2019 (ab 2020 721.000 Euro) ist eine Vertragslänge auf 15 Jahre bestimmt worden. Außerdem wird eine jährliche Steigerung der finanziellen Förderung von zwei Prozent festgelegt (ab 2020).
Thematisch baut der VDSR-BW seine Arbeitsbereiche aus. Er erweitert seine Bildungs- und Kulturangebote für Sinti und Roma zur Vermittlung ihrer Sprache und Kultur. Über Jahrhunderte gab es für die Minderheit keinen Ort, wo ihre Kultur ausgelebt werden konnte, und die Minderheitensprache Romanes droht auszusterben. Die Herkunft dieser Kultur und Sprache ist bis heute kaum erforscht. Dem VDSR-BW ist es wichtig, diese Forschung weiter voranzutreiben und die Geschichte aus der Perspektive der Minderheit zu erzählen. Die Folgen des Nationalsozialismus und der Ermordung von 90 Prozent der Minderheit in Deutschland sind bis heute Themen, die nicht nur den VDSR-BW beschäftigen, sondern die gesamte Minderheit in Europa. Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des VDSR BW, betonte, dass auch die Beratungsangebote für Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft ausgebaut werden. Hier werden soziale Fragen zu u.a. Arbeit, Wohnen oder Asylrecht behandelt sowie beispielsweise Lehrer*innen beraten. Vor allem im Bereich Bildung möchte der VDSR-BW Teilhabechance sichern. Das bedeutet, die Institutionen zu sensibilisieren und junge Sinti und Roma zu fördern. Die Bildungsstudie von Daniel Strauß aus dem Jahr 2011 zeigt, dass ca. 80 Prozent der jungen Sinti und Roma ihre Ausbildung aufgrund von Diskriminierungserfahrungen abbrechen. Der VDSR-BW hat in der Vergangenheit den Kontakt mit Lehrer*innen und Bildungsinstitutionen gesucht und positive Erfahrungen machen können. Denn das fehlende Wissen über die Minderheit führt zu Vorurteilen und verhindert eine gleiche Behandlung. Daniel Strauß: „Auf einer Grundlage von 15 Jahren können wir uns nicht nur diesen Themen widmen, sondern auch Visionen entwickeln und ermöglichen, dass Sinti und Roma in Kultur, Wissenschaft, Politik und Medien angemessen wahrgenommen und vertreten sind“.
Symbolträchtig ist nicht nur, dass der Staatsvertrag ins Romanes übersetzt wurde. In der Präambel des Vertrags bezieht sich das Land Baden-Württemberg auf den historischen Antiziganismus und erwähnt auch, dass dieser bereits im Mittelalter nachgewiesen werden kann. Die historische Verantwortung, die dem Land zukommt auch in der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus, wird klar benannt: „Die grausame Verfolgung und der Völkermord durch das nationalsozialistische Regime brachten unermessliches Leid über Sinti und Roma in unserem Land und zeitigen Folgen bis heute. Dieses Unrecht ist erst beschämend spät politisch anerkannt und noch nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Auch der Antiziganismus ist noch immer existent und nicht überwunden.“
Was ist ein Staatsvertrag?
Der Staatsvertrag stellt den Schutz und die Förderung der Kultur und Sprache der Minderheit auf eine rechtliche und finanzielle Grundlage. Mindestens zehn Prozent der Fördersumme sind für die Integration und Teilhabe von zugewanderten Sinti und Roma bestimmt. Bereits mit dem ersten Staatsvertrag wurde ein gemeinsames Gremium mit Vertreter*innen des Landes und der Minderheit eingerichtet. Der „Rat für die Angelegenheiten deutscher Sinti und Roma“ hat die Aufgabe, die Angelegenheiten der Sinti und Roma in Baden-Württemberg zu erörtern, gemeinsame Aufgaben und Ziele des Vertrags zu beraten und entsprechende Empfehlungen an Landesregierung sowie Landtag zu richten. Dieses Gremium ist bisher in Deutschland einmalig.
Ihre Ansprechpartnerin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Chana Dischereit
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